Vom Menschsein zum Menschenrecht

Berlin, April 2012

   Wenn man sich mit Moral und Menschenrechten befasst, dann hört und liest man häufig, dass Menschenrechte jene Rechte seien, die dem Menschen aufgrund seines Menschseins zukommen. So schreibt beispielsweise Otfried Höffe:

„Während positive Grundrechte von einem konkreten Staat erlassen werden und daher vornehmlich seinen Bewohnern zukommen, erheben Menschenrechte den elementaren Anspruch, zum Menschen, nur weil er Mensch ist, zu gehören. Die Menschenrechte betreffen den Menschen bloß als Menschen, die Grundrechte den Menschen als Mitglied eines konkreten Staatswesens.“[1]

   Aber was steckt hinter dem »Menschsein« und wie begründet sich aus dem Umstand, Mensch zu sein, ein Menschenrecht? Der vorliegende Aufsatz stellt einen Versuch dar, aus den grundlegenden Eigenschaften unseres Daseins die Menschenrechte zu begründen – ein Versuch, den Weg vom Menschsein über die Moral zum Menschenrecht zu skizzieren.

I
MENSCHSEIN

   Zunächst einmal sei der einfache Umstand festzuhalten, dass wir Menschen da sind, dass wir existieren. Damit ist allerdings noch nicht viel gesagt. Wer oder was der Mensch ist, ergibt sich nämlich daraus – einmal von den biologischen Eigenschaften abgesehen –, was jeder Einzelne aus diesem Umstand, da zu sein, selber macht.[2] So müssen wir aus der Tatsache unseres Daseins erst noch etwas machen, wobei noch nicht festgelegt oder vorherbestimmt ist, was wir daraus machen werden. »Etwas aus dem eigenen Dasein machen« soll zunächst auch in keiner Hinsicht bewertend verstanden werden. Es heißt lediglich, dass wir verschiedene Möglichkeiten ergreifen oder ausschlagen. Doch befinden wir uns in der Situation, nicht die Wahl zu haben, ob wir Möglichkeiten ergreifen oder ausschlagen wollen, sondern vielmehr müssen wir Möglichkeiten ergreifen oder ausschlagen und haben dies auch schon seit jeher getan. Martin Heidegger formuliert das in Sein und Zeit so:

„Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeit ist.“[3]

   Und kurz darauf:

„Das Dasein ist als wesenhaft befindliches je schon in bestimmte Möglichkeiten hineingetragen, als Seinkönnen, das es ist, hat es solche vorbeigehen lassen, es begibt sich ständig der Möglichkeiten seines Seins, ergreift sie und vergreift sich. Das besagt aber: das Dasein ist ihm selbst überantwortetes Möglichsein, durch und durch geworfene Möglichkeit. Das Dasein ist die Möglichkeit des Freiseins für das eigenste Seinkönnen. Das Möglichsein ist ihm selbst in verschiedenen möglichen Weisen und Graden durchsichtig.“[4]

   Damit, dass wir in das Dasein geworfen sind, möchte Heidegger zunächst nur sagen, dass wir niemals gefragt worden sind, ob wir uns in dieser Lage befinden wollen oder nicht. Wir können gar nicht selbst bestimmen, ob wir selbstbestimmt leben wollen. Vielmehr befinden wir uns bereits in dieser Situation, wenn uns unser Dasein als Ergreifen und Ausschlagen von Möglichkeiten bewusst wird. Wir haben dann schon bestimmte Möglichkeiten ergriffen und andere ausgeschlagen.

   So besteht unser Dasein wesentlich in der Aufgabe, Möglichkeiten zu ergreifen oder auszuschlagen (Daseinsaufgabe). Der Mensch ist „sich selbst noch Aufgabe“[5], wie Arnold Gehlen sagt. Dabei geben wir durch Ergreifen und Ausschlagen von Möglichkeiten unserem Dasein einen Sinn und verleihen ihm einen Wert – einen Selbstwert[6]. Allerdings sind Sinn und Wert nicht von Dauer. Das heißt, mit jedem Ergreifen und Ausschlagen von Möglichkeiten können sie sich ändern: unser sinnerfülltes Dasein kann uns plötzlich sinnlos erscheinen; unser eben noch als wertvoll betrachtetes Dasein kann uns plötzlich nichtig und klein erscheinen – und umgekehrt. Das bedeutet aber auch, dass wir es zu jeder Zeit prinzipiell in der Hand haben, was wir aus unserem Dasein machen. So heißt es bei Avishai Margalit:

„The capacity is that of reevaluating one’s life at any given moment, as well as the ability to change one’s life from this moment on. “[7]

   Sicherlich können wir unser Dasein nicht beliebig ändern und manche Wege sind schwieriger zu gehen als andere. Doch prinzipiell haben wir die Fähigkeit und die Möglichkeiten, unser Dasein zu jeder Zeit radikal zu ändern.

   Allerdings ist unser Dasein zeitlich begrenzt, so dass wir nicht beliebig viel Zeit haben, unserem Dasein einen Sinn und Wert zu geben. Unser Dasein endet mit dem Tod. Dabei ist der Tod nicht irgendeine Möglichkeit, die wir ergreifen können oder nicht. Mit dem Tag unserer Geburt steht fest, dass wir eines Tages sterben werden. Der Tod trifft uns eben totsicher. Und niemand kann uns unseren Tod abnehmen. In radikaler Weise werden wir durch ihn vereinzelt. Er ist unsere je eigenste Möglichkeit, mit dessen Eintreten alles Ergreifen und Ausschlagen aller anderen Möglichkeiten endet.[8] Der Tod ist „die Möglichkeit der Unmöglichkeit jeglichen Verhaltens zu.., jedes Existierens“[9]. Ohne den Tod wäre unser Dasein ein völlig anderes. Alles ließe sich noch einmal versuchen, ließe sich wiederholen oder auf andere Weise versuchen. Unser Dasein fühlte sich ganz anders an und unsere Daseinsaufgabe wäre eine völlig andere.

   Der Tod als die Möglichkeit der Unmöglichkeit jedes Daseins verdeutlicht uns, dass wir nur begrenzt viel Zeit haben für unsere Aufgabe, etwas aus unserem Dasein zu machen. Wenn es uns nicht gelingt, bis zu unserem Tod unserem Dasein einen Sinn und Wert zu geben, so bekommen wir keine zweite Chance. Wir haben nicht beliebig viel Zeit, unser Leben mit Sinn zu füllen, ihm einen Wert zu geben – es gelingen zu lassen. Das Bedrohliche ist dabei nicht der Tod selbst, „denn“ – so berichtet bereits Epikur – „was uns, wenn es da ist, nicht bedrängt, kann uns, wenn es erwartet wird, nur sinnlos bedrücken“[10]. Bedrohlich ist vielmehr die Möglichkeit, dass wir irgendwann endgültig die Möglichkeit verpasst haben könnten, etwas aus unserem Dasein gemacht zu haben. Diese Möglichkeit, der Tod, bedroht uns zu jeder Zeit, denn wir können jederzeit sterben. „[…] als schiere ein mensche lebendig wirt, als schiere ist es alt genug zu sterben.“[11]

   Daher sollten wir so leben, dass der Tod nie zu früh kommt, dass er uns nicht die Möglichkeit nimmt, unsere Daseinsaufgabe zu erfüllen, weil wir diese Möglichkeit bereits ergriffen haben und immer wieder aufs Neue ergreifen. Das heißt, wir sollten so leben, dass der plötzlich eintretende Tod nicht den Wert und den Sinn unseres Daseins in Frage stellt, dass sein Eintreten für uns keine Bedrohung darstellt.

   Das bedeutet nun aber auch, dass wir bei der Aufgabe, etwas aus unserem Dasein zu machen, in gewissem Sinne scheitern können. Mit der Daseinsaufgabe auf uns alleine gestellte, ohne Anleitung, ohne Vorherbestimmung und mit nur begrenzt viel Zeit, kann es uns misslingen, unserem Dasein einen Sinn und Wert zu geben. Der Mensch ist somit das Wesen „mit der konstitutionellen Chance, zu verunglücken“[12]. Die Aufgabe, etwas aus dem eigenen Dasein zu machen, ist eine konstitutiv existentielle Aufgabe, die niemandem gleichgültig sein kann.

II
MORAL

   Nun können wir aber von anderen Menschen daran gehindert werden, bestimmte Möglichkeiten zu ergreifen oder auszuschlagen. Dies bedeutet, dass uns andere an der Erfüllung unserer Daseinsaufgabe hindern können. Von jemandem, der uns daran hindert, eine bestimmte Möglichkeit zu ergreifen oder auszuschlagen, fordern wir für sein Verhalten eine überzeugende Begründung.

   Wenn beispielsweise A völlig gedankenversunken bei einem gemütlichen Spaziergang durch den Park plötzlich von B grob zur Seite gestoßen wird, dann wird A – erschrocken und zunächst empört über diesen überraschenden Angriff – von B eine überzeugende Begründung haben wollen, warum dieser ihn gestoßen habe.[13] Wenn B nun antwortet: »Sie standen mir im Weg, also habe ich sie weggestoßen«, dann ist das zwar eine Begründung, aber keine, die A akzeptieren können wird. A wäre empört über das Verhalten und über die unverschämte Antwort von B. Was A fordert, ist nicht eine beliebige Begründung, sondern eine, nach der er einsehen kann, warum er in seinem Tun gehindert wurde. Eine überzeugende Begründung gäbe B, wenn er sagte: »Oh, es tut mir leid! Aber der Fahrradfahrer hinter ihnen fuhr direkt auf sie zu und war abgelenkt. Hätte ich sie nicht zur Seite gestoßen, hätte er sie umgefahren.« Wenn es sich auch tatsächlich so verhielte, dann wäre diese Begründung für A einsichtig und er würde sich bei B für dessen Einsatz bedanken.

   Eine überzeugende Begründung muss also erklären können, warum die Hinderung, bestimmte Möglichkeiten zu ergreifen oder auszuschlagen, in Wirklichkeit für die Erfüllung der eigenen Daseinsaufgabe förderlich war – mindestens muss sie aber zeigen, dass die Hinderung in Wirklichkeit gar keine Hinderung war, sondern nur eine zu sein schien. Letzteres wäre der Fall, wenn B einfach versehentlich A angerempelt hätte. Dabei ist es wichtig, dass die Begründung überzeugend ist und nicht nur einen subjektiven Wunsch wiedergibt. Eine überzeugende Begründung ist objektiv überzeugend, das heißt, sie rechtfertigt von einem neutralen Standpunkt aus das Verhalten.[14] Aber nicht nur wir fordern von anderen überzeugende Begründungen für ihr Verhalten, sondern auch die anderen können gegebenenfalls eine überzeugende Begründung für unser Verhalten ihnen gegenüber fordern. Die Freiheit, unter Alternativen mit Gründen wählen zu können und für die Wahl entsprechend Rechenschaft ablegen zu müssen, begründet das Prinzip der Verantwortung.[15] Kann jemand, der einen anderen daran hindert, bestimmte Möglichkeiten zu ergreifen oder auszuschlagen, keine überzeugende Begründung für sein Verhalten liefern, so reagieren wir auf dieses Verhalten mit Empörung, Abneigung, Ablehnung und/oder Gegenwehr. Ein solches Verhalten, das uns an der Erfüllung unserer Daseinsaufgabe hindert, ist ein Übel.

   Indem man überzeugende Begründungen von anderen für ihr Verhalten fordert, erhebt man gleichzeitig einen Anspruch darauf, dass die anderen respektieren und anerkennen müssen, dass man selbst ungehindert die eigene Daseinsaufgabe erfüllen möchte, so wie man selbst auch respektieren und anerkennen muss, dass alle anderen für sich selbst den gleichen Anspruch erheben.[16]

   Nun könnte man fragen: »Ja, ich erheben den Anspruch, dass andere die Erfüllung meiner Daseinsaufgabe respektieren und anerkennen. Aber warum nur soll ich respektieren und anerkennen, dass sie den gleichen Anspruch erheben? Warum sollte ich mir nicht einen Vorrang vor den anderen geben?«

   Bevor wir darauf antworten können, müssen wir einen Blick zurück werfen, denn eines blieb bisher unerwähnt, was sich jedoch aus dem bereits Gesagten ergibt: unter den Menschen herrscht Gleichheit. Gleichheit herrscht unter ihnen insofern, als dass wir (i) uns alle in der (gleichen) Situation vorfinden, etwas aus unserem Dasein machen zu müssen und bei dieser Aufgabe scheitern können (Daseinsaufgabe), (ii) dass wir unserem Dasein (auf die gleiche Weise) durch Eingreifen und Ausschlagen von Möglichkeiten einen Sinn und einen Wert geben (Selbstwert), (iii) dass wir die (gleiche) prinzipielle Fähigkeit besitzen, unserem Dasein zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine völlig neue Wendung zu geben (Autonomie), und (iv) dass wir (auf die gleiche Weise) gegebenenfalls unser Handeln anderen gegenüber überzeugend begründen müssen oder aber selber von anderen für ihre Handlungen eine überzeugende Begründung fordern (Verantwortung).

   Auch hier könnte gefragt werden, warum einem selbst nicht ein Vorrang zukommen soll, eine Sonderstellung, die die eigene Ungleichheit den anderen gegenüber hervorhebt. Die Antwort: Ein Vorrang lässt sich anderen gegenüber nicht überzeugend begründen. Stefan Gosepath führt hierfür in Gleiche Gerechtigkeit ein schönes Beispiel an:

„Ein Herr kann einem Sklaven gegenüber sehr wohl Gründe liefern. Bei ungleichen Machtverhältnissen mag ein Sklave de facto auch Grund haben, sie zu akzeptieren – es könnte für ihn günstiger sein. Aber er kann fragen, warum der Herr eine höhere Stelle beanspruchen darf. Damit fragt er nach positionsunabhängigen Gründen für die Institution der Sklaverei. Der Herr hat hier drei Möglichkeiten. Er kann und wird wahrscheinlich die Frage als Unverschämtheit zurückweisen. Warum solle er, der Herr, ihm, dem Sklaven, eine positionsunabhängige Rechtfertigung geben? Die könne der Sklave nicht verlangen, er, der Herr, schulde sie ihm nicht, weil er eben kein Gleicher sei, denn nur denen schulde man eine Rechtfertigung. Das aber kann der Sklave […] als falsch zurückweisen. Moral verlangt allgemeine willkürfreie Rechtfertigung. Hierauf kann der Herr entweder mit Verweis auf die bloße Macht reagieren, das aber ist reiner Zwang, kein Grund. Der Sklave würde es nicht freiwillig akzeptieren, sondern nur gezwungenermaßen. Oder er lässt sich auf die Notwendigkeit zur Rechtfertigung ein. Als Gründe könnte er religiöse oder traditionalistische Auffassungen über den unterschiedlichen Wert von Menschen je nach Abstammung, Geschlecht oder ähnlichem nennen. Für den Übergang zur modernen Moral ist nun charakteristisch, dass wir diese und ähnliche Gründe nicht mehr akzeptieren. Wir bezweifeln, dass sich eine apriorische Wertunterscheidung zwischen (Kategorien von) Personen unparteiisch begründen lässt. Alle Auffassungen, die glauben, solche primären Wertunterscheidungen begründen zu können, sind an Voraussetzungen gebunden, die man vernünftigerweise bestreiten kann. Im postmetaphysischen Zeitalter ist die Art der zulässigen Gründe eine andere.“[17]

   Wie bei dem Beispiel des Sklaven gegenüber dem Herren oder dem Beispiel des Spaziergängers, so fordern wir vom ‚Möchtegern-Sonderling‘ eine überzeugende Begründung dafür, warum wir ihn anders behandeln sollten als alle anderen, warum er eine Ausnahme bildet. Eine solche überzeugende Begründung kann er allerdings nicht geben. So sehr unser Sonderling auch mehr sein möchte, er bleibt ein Mensch und als ein solcher kommen ihm die gleichen konstitutiven Eigenschaften wie jedem anderen zu. Wer einen Vorrang vor den anderen erhebt, stellt entweder die konstitutiven Eigenschaften des Menschen in Frage oder beansprucht, kein Mensch zu sein, über der Menschheit zu stehen und deshalb andere Ansprüche erheben zu dürfen. Beides müsste überzeugend begründet werden, doch für beides fehlen die überzeugenden Begründungen.

   Aber mehr noch: Ein Vorrang lässt sich nicht einmal sich selbst gegenüber überzeugend begründen. Ein Verhalten, dass man sich selbst gegenüber nicht überzeugend begründen kann, stellt das eigene Handeln in Frage, kann zu Unverständnis führen, zu Selbstentfremdung und gegebenenfalls zu Scham und Reue. Das eigene Handeln nicht zu verstehen, sich selbst zu entfremden und gegebenenfalls sich für das eigene Tun schämen zu müssen und es zu bereuen, führt – sollte man sein Dasein diesbezüglich nicht radikal ändern – zum Scheitern an der Daseinsaufgabe. Damit hindert man sich selbst daran, die eigene Daseinsaufgabe zu erfüllen – man tut sich selbst ein Übel an.

   Wer also den Anspruch erhebt, dass die anderen die eigene Erfüllung der Daseinsaufgabe zu respektieren und anzuerkennen haben, selbst aber deren Erfüllung ihrer Daseinsaufgabe nicht respektiert und anerkennt, der erhebt gleichzeitig einen Anspruch auf Vorrang vor den anderen. Ein solcher Vorrang vor den anderen widerspricht aber der Gleichheit der Menschen (Menschsein) und ist nicht überzeugend begründbar – weder den anderen noch sich selbst gegenüber.[18] Ein Verhalten anderen gegenüber, das nicht überzeugend begründbar ist, ist ein Übel – den anderen gegenüber und letztlich auch sich selbst gegenüber.

   Halten wir also fest: Aus den grundlegenden Eigenschaften des Menschen ergab sich, dass wir so handeln sollten, dass unser Handeln uns und anderen gegenüber überzeugend gerechtfertigt ist, indem es nicht im Widerspruch zu unserem Menschsein steht. Ein widersprechendes Handeln führt – wenn man sein Dasein diesbezüglich nicht radikal ändert – zum Scheitern an der Daseinsaufgabe. Mit diesem Handeln, nach dem wir uns anderen Menschen und uns selbst gegenüber so verhalten sollen, dass wir ihre und unsere Erfüllung der Daseinsaufgabe, die sich aus den konstitutiven Eigenschaften des Menschen ergibt, respektieren und anerkennen, befasst sich die Moral. Es ließe sich nun ein moralischer Grundsatz formulieren, nachdem wir unser Handeln richten sollten. Er könnte er wie folgt lauten:

Handle jederzeit so, dass du das Menschsein, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, stets achtest.[19]

   Das Menschsein zu achten heißt nun, zu respektieren und anzuerkennen, dass jeder Mensch seine Daseinsaufgabe zu erfüllen hat und niemand einen an dieser Aufgabe hindern darf – ihn sogar, wenn möglich, dabei fördern sollte.

   Wer gegen den moralischen Grundsatz verstößt, wird – bei Einsicht, dass das eigene Verhalten unmoralisch war – Scham und Reue empfinden und womöglich den Wunsch hegen, sein Verhalten wieder gut zu machen. So verstanden kann man sagen, dass die Moral bei unmoralischem Verhalten Scham und Reue fordert, was damit verbunden ist (oder sein kann), das eigene Handeln wieder gut zu machen.

   Jedoch setzt das Empfinden von Scham und Reue voraus, dass man einsieht, unmoralisch gehandelt zu haben. Ein Schuldeingeständnis ist erforderlich. Wenn B A nur weggestoßen haben sollte, da ihm dieser im Wege stand, A ihm aber dann erklären kann, warum B sich so nicht verhalten darf, dann wird B sein Fehlverhalten einsehen müssen. Er wird sich rückblickend für sein Verhalten schämen und zu A vielleicht sagen: »Das ist mir so nie klar gewesen. Ich habe mir nie über die anderen Gedanken gemacht, sondern immer nur an mich gedacht. Es tut mir schrecklich leid und hoffe, sie können mir verzeihen. Und haben sie vielen Dank, dass sie mir die Augen geöffnet haben.«

   Wie schön, ginge es in unserer Welt so einfach zu. Leider gehen wir Menschen aber nicht so harmonisch und einsichtig miteinander um. Das praktische Problem bei all dem ist, dass weder garantiert ist, (i) dass jeder sich seiner Situation (Daseinsaufgabe), noch (ii) dass sich jeder des daraus geforderten moralischen Grundsatzes (Moral) bewusst ist, noch (iii) dass jeder bei unmoralischem Verhalten einsieht, so nicht hätte handeln zu dürfen (Schuldeingeständnis), und (iv) sein Verhalten wieder gutzumachen wünscht (Wiedergutmachung). Wir können uns also leider nicht darauf verlassen, dass wir alle moralisch gute Menschen sein können und wollen. Was also tun?

III
RECHT

   Müssen alle vier Punkte – Daseinsaufgabe, Moral, Schuldeingeständnis, Wiedergutmachung – garantiert werden können, um das praktische Problem zu lösen? Die Art der Fragestellung lässt vermuten, dass die Frage selbst mit »Nein« zu beantworten ist. Und die Antwort lautet tatsächlich: Nein.

   Im Grunde ist es uns egal, ob sich jeder seiner Daseinsaufgabe bewusst ist. Es wäre vielleicht wünschenswert, aber garantiert werden muss uns das nicht. Was uns aber keineswegs egal sein kann, ist, dass wir bei der eigenen Erfüllung der Daseinsaufgabe nicht von anderen daran gehindert werden. A kann es egal sein, ob sich B über seine Situation in der Welt im Klaren ist, solange A in Ruhe seinen Spaziergang machen kann und auch sonst nicht von anderen daran gehindert wird, seine Daseinsaufgabe zu bewältigen. Eben letzteres ist A nicht egal: er hätte gerne garantiert, dass ihn niemand daran hindert, seine Daseinsaufgabe zu erfüllen. »Wenn die anderen sich schon ihrer eigenen Situation nicht bewusst sind, dann sollen sie aber doch wenigstens mich in Frieden lassen und respektieren und anerkennen, dass ich etwas aus meinem Dasein machen möchte«, denkt sich A.

   Genau das, so haben wir gesehen, fordert der moralische Grundsatz: Handle jederzeit so, dass du das Menschsein, sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, stets achtest. Während uns also der erste Punkt (Daseinsaufgabe) nicht garantiert werden muss, wünschen wir uns für den zweiten Punkt (Moral) durchaus eine Garantie. Wenn A wüsste, dass B genau weiß, wie der moralische Grundsatz lautet, dann wäre zumindest seine Sorge, jedes Mal beim Spazierengehen von B in den Graben gestoßen zu werden, kleiner – wenn er auch keine Garantie dafür hätte.

   Das führt uns direkt zu Punkt vier (Wiedergutmachung). Allein das Wissen, so und so nach dem moralischen Grundsatz nicht handeln zu dürfen, scheint nicht auszureichen, um auch wirklich danach zu handeln. Trotz des Wissens um den moralischen Grundsatz könnte dieser B egal sein, so dass B eben doch A zur Seite stößt. B stößt also A zur Seite, obwohl er den moralischen Grundsatz kennt. Denken wir uns weiter, dass B, während er A zur Seite stößt, die Brieftaschen von A stielt. Ob es nun das kriminelle Ungeschick des B ist oder aber die misstrauische Aufmerksamkeit des A: jedenfalls bemerkt A den Diebstahl und stellt B. Was A nun garantiert wissen möchte ist, dass er doch wenigstens seine Brieftasche (mit allem, was vorher darin enthalten war) von B zurück erhält. Und eine Entschuldigung wäre wohl auch angebracht. Sollte sich B jedoch weigern, aus freien Stücken seine Beute wieder herzugeben, so verlangt A eine Rückgabe unter Zwang.[20] Mit dem Anspruch auf Zwangsrückgabe, den A erhebt, sieht er generell ein Mittel, sich gegen solch ein unmoralisches Verhalten zu verteidigen.[21] Eine solche Wiedergutmachung – gegebenenfalls unter Zwang – bietet zwar auch keine Garantie, doch auch hier kann A etwas beruhigter seinen Spaziergang antreten, denn er weiß: gegebenenfalls gibt es ein moralisch legitimes Mittel, sich zur Wehr zu setzen. Und da auch B sich im Klaren um dieses Mittel ist, wird er es sich womöglich einmal mehr überlegen, ob er gegen den moralischen Grundsatz verstoßen möchte.

   Und was ist mit dem dritten Punkt (Schuldeingeständnis)? A kommt es darauf an, seine Brieftasche zurück zu erhalten. Dabei kann es ihm gleichgültig sein, ob B sein Fehlverhalten einsieht oder nicht. Möglicherweise wird A über Bs Uneinsichtigkeit den Kopf schüttel, doch das Ärgernis darüber wird bald verschwunden sein. A hat seine Brieftasche wieder und nur darauf kommt es an.

   Oder? Kann es A wirklich egal sein, denn immerhin wird er demnächst wieder einen Spaziergang machen wollen und möchte dabei nicht das gleiche Theater noch einmal mit B erleben müssen. Zu wissen, dass B seine Schuld erkannt hat, wäre schon beruhigend, denn mit dem Schuldeingeständnis würde B seine Tat wohl so schnell nicht wiederholen – immerhin wüsste er dann, dass es falsch war. Doch möchte man das garantiert wissen? Ja, kann es uns generell egal sein, ob jemand sein unmoralisches Handeln einsieht oder nicht, solange wir Wiedergutmachung erfahren?

   Nun, im Einzelnen mögen wir zu der Gleichgültigkeit neigen, dass uns die Einsicht eines Übeltäters zu seiner unmoralischen Tat egal sein kann. Doch im Allgemeinen können und sollten wir diese Gleichgültigkeit nicht an den Tag legen. Jemand, der sein unmoralisches Tun nicht einsieht, neigt dazu, seine Tat zu wiederholen, ob ihm nun eine Zwangswiedergutmachung droht oder nicht. Und genau dieser Umstand stellt für alle anderen eine Bedrohung dar. Auch C und D fordern die Einsicht von B, selbst wenn sie am Konflikt zwischen A und B nicht beteiligt waren. Sie fordern die Einsicht, da B anderenfalls auch für sie weiterhin eine Bedrohung darstellt – immerhin könnte B in den kommenden Tagen einen von ihnen ausrauben. Nun kann aber auch das Schuldeingeständnis nicht garantiert werden. Es kann sein, dass jemand partout nicht einsehen kann oder will, etwas Unmoralisches getan zu haben. Es kann aber auch sein, dass jemand nur vorgibt, seine Schuld einzusehen. Erzwingen können wir jedenfalls die Einsicht nicht. Doch wir können uns bemühen, demjenigen zur Einsicht zu verhelfen. Wir erhalten zwar auch so keine Garantie, es beruhigt uns jedoch zu wissen, dass wir mit unseren Bemühungen doch wenigstens die Wahrscheinlichkeit der Einsicht erhöht haben – und mit ihr sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungstat.

   Nun haben wir zwar das praktische Problem noch nicht gelöst, doch wir sind der Lösung einen Schritt näher, da wir nun wissen, um was es uns eigentlich geht: um ein möglichst weit verbreitetes Wissen um den moralischen Grundsatz, um eine möglichst hohe Gewährleistung der Einsicht in die eigene Schuld, und um Wiedergutmachung, die gegebenenfalls durch Zwangsmaßnahmen bewirkt wird. Sind diese Bedingungen (weitestgehend) erfüllt, so fühlen wir uns (weitestgehend) von der Bedrohung befreit, die anderen könnten uns an der Erfüllung der eigenen Daseinsaufgabe hindern.

   Der Weg ist nun nicht mehr weit und auch keineswegs neu. Es ist der Weg des Gesellschaftsvertrages.[22] Um das praktische Problem zu überwinden oder doch wenigstens der Bedrohung entgegenzuwirken, um die es uns geht, ist es sinnvoll, die Verhaltensregel, die aus dem moralischen Grundsatz folgen – sowie den Grundsatz selbst – schriftlich zu fixieren und für jedermann zugänglich zu machen. Die schriftliche Fixierung hat die Vorteile, (i) dass man sich auf die einmal ausformulierten Regeln jederzeit und unverfälscht (das Problem tritt bei nur mündlichen Regeln auf, die durch die Mündlichkeit immer wieder neu formuliert, geändert und dadurch umgedeutet werden können) berufen kann, (ii) dass dadurch eine große Verbreitung und Kenntnisnahme ermöglicht wird, (iii) dass dadurch die Regeln der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und (iv) dass damit ebenfalls die Regeln für die Öffentlichkeit diskutierbar gemacht werden, um gegebenenfalls Änderungen vornehmen zu können (eine Regel könnte sich als unmoralisch erweisen). Durch die schriftliche Fixierung wird der erste Punkt des praktischen Problems – ein möglichst weit verbreitetes Wissen um den moralischen Grundsatz – weitestgehend gelöst.

   Ebenso ist es sinnvoll, schriftlich festzuhalten, welche Sanktionen bei Nichteinhaltung des moralischen Grundsatzes (oder der daraus resultierenden Grundregeln) folgen. Sanktionen sollen dabei nicht im Sinne von Strafen verstanden werden. Denn ob Strafe eine angemessene Reaktion auf Nichteinhaltung des moralischen Grundsatzes ist, muss erst noch geklärt werden, soll aber an dieser Stelle nicht zum Thema gehören. In einer ersten Annäherung an den Begriff der Sanktion möchte ich sagen: Unter Sanktion sei die reglementierte Reaktion auf Regelverstöße zu verstehen, die eine Wiedergutmachung gewährleisten soll – gegebenenfalls ist die Wiedergutmachung mit Zwang (der selbst nicht gegen den moralischen Grundsatz verstoßen darf) von einer entsprechenden Institution durchzusetzen. Denn „Covenants, without the Sword, are but Words, and of no strength to secure a man at all.” [23]

   Wie Sanktionen inhaltlich auszusehen haben (in Form von Freiheitsstrafen, Körperstrafen, Geldstrafen, Resozialisierungsmaßnahmen, Therapiemaßnahmen etc.), spielt an dieser Stelle keine Rolle.[24] Durch eine schriftliche Fixierung der Sanktionen, die bei Nichteinhaltung des moralischen Grundsatzes (oder der daraus resultierenden Grundregeln) folgen, wird der dritte Punkt des praktischen Problems – Wiedergutmachung, die gegebenenfalls durch Zwangsmaßnahmen bewirkt wird – weitestgehend gelöst.

   Der zweite Punkt des praktischen Problems – eine möglichst hohe Gewährleistung der Einsicht in die eigene Schuld – ließe sich ebenfalls über die Sanktionierung weitestgehend lösen. Beispielsweise könnte man versuchen, den Übeltäter im Rahmen einer Therapie zur Einsicht zu bringen. Doch soll an dieser Stelle, wie gesagt, gar nicht inhaltlich auf die Sanktionen eingegangen werden. Unabhängig von Sanktionen wäre aber auch eine Förderung des allgemeinen moralischen Bewusstseins vorstellbar – beispielsweise durch Ethikunterricht in der Schule –, um so präventiv zu wirken. Jemand mit einem ausgeprägten Moralverständnis wird vor der Tat einsehen, dass er sie nicht begehen darf, und sie seinlassen. Sicherlich gibt es auch noch andere Methoden mit der gleichen Wirkung. Diese könnten dann ebenfalls schriftlich fixiert werden und würden dadurch den zweiten Punkt des praktischen Problems weitestgehend lösen.

   Eine solche schriftliche Festsetzung von Regeln, nach denen (eine Gruppe von) Menschen ihr Handeln ausrichten wollen, um in Frieden miteinander leben und die eigene Daseinsaufgabe erfüllen zu können, nennt man positives Recht. Mit welchen Institutionen – ober ob überhaupt mit Institutionen – es umgesetzt werden soll, kann unterschiedlich gehandhabt werden und ist Sache der jeweiligen Gesellschaftstheorie. Charakteristisch für das Recht ist, dass es als bekannt vorausgesetzt und seine Befolgung gefordert wird. Bei Rechtsverletzungen wird nach dem geltenden Recht darauf reagiert. Auf die Daseinsaufgabe muss es nicht hinweisen, da es dem Recht nur darum geht, die Bedingungen zu schaffen, die einem prinzipiell die Erfüllung der Daseinsaufgabe ohne Hinderung durch andere gewährleisten. Auch ein positives Recht vermag keine hundertprozentige Garantie zu geben. Das praktische Problem besteht weiterhin, doch es ist ein kleineres Problem geworden.

   Das Recht bezieht sich nun nicht immer auf Fragen, die sich aus dem moralischen Grundsatz heraus ergeben. Und das muss es auch nicht. In einer Gesellschaft gibt es viele Bereiche, die wir dennoch geregelt wissen wollen, auch wenn sie nichts mit den Bedingungen zur Erfüllung unserer Daseinsaufgabe zu tun haben. Beispiele dafür sind das Verkehrsrecht oder das Baurecht. Auch wenn nicht jedes Recht direkt mit dem moralischen Grundsatz zu tun haben muss, so fordern wir dennoch, dass kein Recht gegen den moralischen Grundsatz verstoßen darf.[25]

„Denn gegenüber dem Recht – gleich ob es sich naturwüchsiger Sitte, ausdrücklicher Vereinbarung oder willkürlichem Erlass verdankt –, gegenüber Richtersprüchen, Gesetzten, selbst Verfassungen werfen wir die Frage auf, ob das so Gegebene auch sittlich richtig, ob es gerecht ist.“[26]

   Ein Verkehrsrecht, beispielsweise, dass nur männlichen Weißen über 18 Jahren das Autofahren gestatten würde, wäre mit seiner mehrfachen Diskriminierung ein klarer Verstoß gegen den moralischen Grundsatz, den wir nicht akzeptieren könnten – weil wir überzeugende Gründe haben, dies nicht zu akzeptieren.

   Das Recht, das die aus dem Menschsein resultierenden Ansprüche schützen soll, das eben aufgrund der Eigenschaft, Mensch zu sein, jedem einzelnen Menschen zukommt, und das von jedem anderen Recht die Beachtung des moralischen Grundsatzes verlangt, dieses Recht nennen wir: Menschenrecht. Und jeder einzelne Mensch hat überzeugende Gründe, für sich und andere das Menschenrecht zu fordern, durchzusetzen und geltend zu machen, weil uns allen die gleichen Eigenschaften des Menschseins zukommen.

   Wir sind auf diesen wenigen Seiten einen weiten Weg gegangen, den ich nur zu skizzieren vermochte. Er führte uns von den grundlegenden Eigenschaften des Menschen über die Moral hin zum Menschenrecht. Die Menschenrechte dienen dem Schutz dessen, was uns die Moral gebietet, nämlich das zu achten, was uns Menschen zu Menschen macht: die Aufgabe, Möglichkeiten zu ergreifen und auszuschlagen, um so dem eigenen Leben einen Sinn und Wert zu geben – das eigene Dasein gelingen zu lassen. So verstanden kann man Menschenrechte als „juridische und zugleich überpositive, moralische Rechte“[27] betrachten. Sie dienen als moralischer Maßstab für jedes weitere positive Recht. Die Menschenrechte zu beanspruchen, durchzusetzen und geltend zu machen ist selbst ein Menschenrecht, welches zu fordern jeder Mensch an jedem Ort zu jeder Zeit die gleichen überzeugenden Gründe hat.


[1] Höffe, Otfried, Vernunft und Recht – Bausteine zu einem interkulturellen Rechtsdiskurs, 2. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 50-51.

[2] Vgl. Sartre, Jean-Paul, L’existentialisme est un humanisme, présentation et notes par Arlette Elkaïm-Sartre, [Paris]: Gallimard 1996, S. 29-30.

[3] Heidegger, Martin, Sein und Zeit, 18. Auflage, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2001, S. 143.

[4] Heidegger, Sein und Zeit, S. 144.

[5] Gehlen, Arnold, Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Auflage, unveränderter Nachdruck der 9. Auflage 1972, Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1978, S. 32.

[6] Anmerkung: Unter dem Selbstwert verstehe ich jenen Wert, der sich über unser Selbstwertgefühl ausdrückt. Je nachdem wie wir selbst uns sehen und wie wir unser Handeln (das Ergreifen und Ausschlagen von Möglichkeiten) bewerten, haben wir ein gesteigertes oder ein vermindertes Selbstwertgefühl. Der Selbstwert ist ein subjektiver Wert, den nur wir selbst uns selbst geben.

[7] Margalit, Avishai, The Decent Society, translated by Naomi Goldblum, Cambridge/London: Harvard University Press 1996, S. 70.

[8] Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, S. 258-259.

[9] Heidegger, Sein und Zeit, S. 262.

[10] Epikur, Brief an Menoikeus, in: ders., Briefe, Sprüche, Werkfragmente, übersetzt und herausgegeben von Krautz, Hans-Wolfgang, Stuttgart: Reclam 2001, S. 45.

[11] [Johannes von Tepel], Der Ackermann aus Böhmen, [um 1400], hrsg. v. Brent, Alois und Burdach, Konrad (Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung, hrsg. v. Burdach, Konrad, Bd. 3, 1. Teil), Berlin: Weidemannsche Buchhandlung 1917, Kap. 20, S. 46. Heidegger zitiert in Sein und Zeit, S. 245: Sobald ein Mensch zum Leben kommt, sogleich ist er alt genug zu sterben.“

[12] Gehlen, Der Mensch, S. 32.

[13] Anmerkung: Zugegeben, bezogen auf die Daseinsaufgabe mag das Zur-Seite-Stoßen eines Spaziergängers bedeutungslos erscheinen. Es gibt natürlich graduelle Unterschiede, bei denen für uns die einen Vorkommnisse gravierender sind als die anderen. Jemanden zu schlagen ist schlimmer als ihn zur Seite zu stoßen; jemanden zu ermorden ist schlimmer als ihn zu schlagen etc. Doch das Prinzip ist überall das gleiche: Jemand hindert einen anderen am Ergreifen oder Ausschlagen von Möglichkeiten – und der Gehinderte fordert dafür eine überzeugende Begründung.

[14] Vgl. Gosepath, Stefan, Gleiche Gerechtigkeit – Grundlagen eines liberalen Egalitarismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 35-36 u. 148-156.

[15] Vgl. Gosepath, Gerechtigkeit, S. 54-55.

[16] Vgl. Gosepath, Gerechtigkeit, S. 136-137.

[17] Gosepath, Gerechtigkeit, S. 149-150.

[18] Anmerkung: Das schließt natürlich nicht die Fähigkeit des Menschen aus, sich selbst – und damit auch andere – zu betrügen, sich unstimmige Sachverhalte einzureden und sich die Welt so auszumalen, wie sie einem gefällt. Diese Fähigkeit erklärt, wie wir es doch immer wieder schaffen, uns einen Vorrang einzuräumen, zu glauben, dass es sich bei uns ganz anders verhält als bei allen anderen.

[19] Die Nähe zu Immanuel Kants kategorischem Imperativ in Gestalt der Selbstzweckformel („Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals | bloß als Mittel brauchest.“ Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: ders., Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hrsg. v. Weischedel, Wilhelm, Bd. VII, 1. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 61 [BA 66,67].) ist nicht zu leugnen. Ich stimme Kant auch in vielen (nicht allen!) Punkten zu, doch um in keine vieldiskutierte Kantinterpretation einsteigen zu müssen, schien es mir sinnvoll, eine eigene Formulierung zu wählen. Dem Leser sei es daher selbst überlassen, ob er den vorgeschlagenen moralischen Grundsatz mit oder ohne Bezug auf Kant lesen möchte.

[20] Vgl. Höffe, Otfried, Kategorische Rechtsprinzipien – Ein Kontrapunkt der Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990, S. 139.

[21] Vgl. Kant, Immanuel, Metaphysik der Sitten, hrsg. v. Vorländer, Karl, unveränderter Abdruck der 4. Auflage 1922, Hamburg: Felix Meiner 1966, Einleitung in die Rechtslehre, § D, S. 36 [231].

[22] So beispielsweise Hobbes, Thomas, Leviathan, first publishes in this edition 1914, London: Dent & Sons Ltd 1959; Locke, John, Two Treatises of Government, in: The Works of John Locke, new ed., corr., Repr. London 1823, Vol. V., Aalen: Scientia Verlag 1963; Rawls, John, A Theory of Justice, first published 1972, London/Oxford/New York: Oxford University Press 1973; Rousseau, Jean-Jacques, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, in Zusammenarbeit mit Pietzcker, Eva neu übers. und hrsg. v. Brockard, Hans, bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart: Reclam Verlag 2003. Vgl. aber auch Gosepath, Gerechtigkeit, S. 155.

[23] Hobbes, Leviathan, S. 87.

[24] Anmerkung: Es sei trotzdem darauf hingewiesen, dass aus Sanktionen mit Zwangsbefugnis noch lange kein Strafrecht folgt.

[25] Vgl. Höffe, Otfried, Den Staat brauch selbst ein Volk von Teufeln – Philosophische Versuche zur Rechts- und Staatsethik, Stuttgart: Reclam 1988, S. 15.

[26] Höffe, Den Staat, S. 26.

[27] Höffe, Vernunft, S. 51.